Hegenbarth trifft Gegenwart
corn.elius_gesiebte briefe_
26. April — 20. Oktober 2023
Ort:
Hegenbarth Sammlung Berlin
Laubacher Straße 38
14197 Berlin
geöffnet_mittwochs 12—17 Uhr und nach Vereinbarung
ausstellungseröffnung_26.4.2023, 19—21 Uhr
familiensonntag mit verschiedenen mitmach-stationen_7.5.2023, 14—16 Uhr
buchpräsentation mit künstlergespräch_14.6. / 20.9.2023 jeweils 19 Uhr
ferienworkshop siebdruck_19.7. / 20.7. / 23.8. / 24.8.2023 jeweils 10—13 Uhr
_vom schönsinn der gefundenen form
Erstmals würdigt eine institutionelle Einzelausstellung die seriellen Bildschöpfungen des in Berlin lebenden Serigrafikers Cornelius Brändle. Mit seinem buchkünstlerischen Werk ist er seit 30 Jahren präsent, wofür der Künstler im Mai dieses Jahres mit dem V.O. Stomps Förderpreis der Gutenbergstadt Mainz im Rahmen der Minipressen-Messe ausgezeichnet wird.
Einen bislang unbekannten Kosmos bildet das Material, das den Bucheditionen zugrunde liegt, die in steter Metamorphose entwickelten Siebdruckserien. Die Hegenbarth Sammlung Berlin stellt repräsentative Ausschnitte daraus vor, die den schöpferischen Prozess der Formfindung — die Verwandlung vom Fundstück zum Bildzeichen — als Cornelius Brändles Thema fokussieren. Die gesiebten briefe sind eine Einladung zum Mitspielen: Durch den Schönsinn der gefundenen Formen vermitteln sie beim bloßen Betrachten die impliziten sozialen wie intellektuellen Aspekte.
Abseits seiner eigenen Serigraphien, die ausschließlich seinem künstlerischen Ich entspringen, wird corn.elius aber auch zur ‚dritten Hand des Künstlers‘ (Zitat nach Gwendolyn Isabel Rabenstein) und arbeitet für befreundete Künstlerinnen und Künstler sowie Autorinnen und Autoren. Es entstehen beeindruckende Werke, die mit den vielseitigen Möglichkeiten des Siebdrucks spielen. In der Reihe Hegenbarth trifft Gegenwart werden verschiedene Vermittlungsformate bis hin zur seriellen Kunstaktion angeboten.
Der Titel der Ausstellung verweist auf ein aus der Mode gekommenes Kommunikationsmittel. Werden heute per Brief allenfalls Rechnungen, Werbesendungen oder unpersönliche Infopost verschickt, erhält man hingegen persönliche Mitteilungen wie Geburtstagswünsche, Feiertagsgrüße oder Liebesbekundungen selten per Post.
Mit der Einladungskarte zur Ausstellung haben wir allen Empfängern ein serielles Kunstwerk per Post zugeschickt. Jede Karte ist ein Unikat, keine Karte gleicht der anderen. Gerne können Sie Ihre Karte zu unseren Veranstaltungen mit dem Künstler mitbringen und sich von ihm signieren lassen.
Viele Karten kamen nach dem Versand mit dem Vermerk ‚unzustellbar‘ an uns zurück: leicht lädiert, beschriftet, überklebt. Wir haben sie erneut auf Reisen geschickt — es scheint, als habe der einst so zuverlässige Postversand im digitalen Zeitalter ausgedient.
Während der Ausstellung gibt es verschiedene Gelegenheiten, sich an verschiedenen Vermittlungsformaten und Aktionen zu beteiligen: Nach langer Pause findet wieder ein Familiensonntag statt. In den Sommerferien können Kinder und Jugendliche mit dem Künstler corn.elius in Ferienworkshops die Technik des Siebdruckens ausprobieren. Und während der Ausstellungslaufzeit können Sie nicht nur in den Künstlerbüchern von corn.elius blättern, sondern zu Buchvorstellungen mit ihm übers Büchermachen in Gespräch kommen und das ein oder andere von ihm erwerben.
Erstmals wird auch eine künstlerische Edition zum Verkauf angeboten. Interessierte Gäste können Exemplare aus der Briefbildserie die farben der vögel (2023) erwerben. Die farbigen Bildstreifen, die corn.elius in einer Auflage von zehn Exemplaren pro Motiv auf einen verschlossenen A4-Umschlag druckt, stellen die Federfarben heimischer Vogelarten dar. Die Aktion bedient sich, inklusive Postversand, gängiger Mailing-Methoden, die schmunzelnd unterlaufen werden: Das Äußere des Briefumschlags wird zur künstlerischen Botschaft, sein Inhalt bleibt ein Rätsel. Und wie in der echten Versandwarenwelt kommt das Kunstwerk per Post. Bei Kaufinteresse richten Sie Ihre Anfragen bitte an corn.elius@editionwasserimturm.de.
Schreibfreudige Kunstgenießende können zudem Teil einer Künstleraktion werden: Bereits 2017 startete die Aktion ohne titel, bei welcher Liebhaber von Kunstpostkarten eingeladen sind, eine solche an corn.elius zu schicken. Diese wird nach Posteingang per Siebdruck verarbeitet und in einem Künstlerbuch publiziert. Schicken Sie Ihre Postkarte direkt an Cornelius Brändle Unionsstraße 6e in 10551 Berlin und werden Sie Teil eines Künstlerbuchs.
Mit der Einladungskarte zur Ausstellung haben alle Empfänger per Post ein serielles Kunstwerk erhalten, das Sie zu Veranstaltungen mit dem Künstler mitbringen und von ihm signieren lassen können.
Seit über zwanzig Jahren sind Alltagsgegenstände, zufällig Gefundenes oder Weggeworfenes, Ausgangspunkt vieler seiner Serigrafien. Als Sammler liest corn.elius diese Dinge auf, nicht wissend, welchen Schönsinn er ihnen als Zeichner mit dem Sieb entlockt. Der Zufall verwandelt die Form des Ausgangsgegenstandes im photomechanischen Prozess. Das breite Gummiband ist beispielsweise nicht mehr erkennbar, sondern erscheint als Schleife oder als ambivalentes kalligrafisches Zeichen. Im seriellen Spiel mit der gefundenen Form hat corn.elius sein künstlerisches Markenzeichen gefunden.
_mit der post verschickt
Die Ausstellung, die bis Mitte September 2023 zu sehen sein wird, zeigt etwa acht mehrteilige Hauptarbeiten, die der Künstler in den letzten Jahren begonnen bzw. weiterentwickelt hat. Aus einer zunächst abgeschlossenen Serie, deren Entstehung mitunter Jahre zurückliegt, entwickelt er nicht selten die nächste. Die gesiebten briefe haben ihren Ursprung in vergessenen Kuverts, die corn.elius in eine eigene serielle Form transformiert. Er löst behutsam die zugeklebten Stellen, legt die Ursprungsformen frei und zeichnet diese mit dem Sieb nach. Aus dieser Vorgehensweise können weitere Serien entstehen, beispielsweise die in der Ausstellung gezeigten briefbilder.
_in büchern gedacht
Gemeinsam mit der Künstlerin Hanneke van der Hoeven etablierte er die vielseitigste Messe für Künstlerbücher und Grafikeditionen im deutschsprachigen Raum: die artbook.berlin, die alljährlich im November im Kunsthaus Bethanien stattfindet.
„Ich denke meine Bilder immer in Büchern.“ Mit diesem Bekenntnis beschreibt corn.elius den Antrieb für seine seriellen Bildschöpfungen das Buch, das seit 1990 sein Hauptformat ist. Es ist und bleibt einerseits, selbst in handgefertigten Kleinauflagen, ein serielles Objekt. In ihm finden andererseits die fortwährend entwickelten Bildserien ihre dauerhafte, gewissermaßen endgültige Form. Dieses Paradox fordert den Künstler intellektuell heraus. Er sorgt dafür, dass die Form nicht in Schönheit erstarrt, sondern durch Abweichungen, Variationen oder Fehldrucke aufgebrochen wird. Zudem experimentiert er mit Bindungen und greift auf einfache, standardisierte Alltagsmaterialien zurück. In dieser Hinsicht befindet sich corn.elius auf Augenhöhe mit Wegbereitern der modernen Druckgrafik in Deutschland. Bildvergleiche mit dem Frühwerk von HAP Grieshaber und Horst Janssen sowie mit Grafiken von Rupprecht Geiger, Gerhard Hoehme und Dieter Roth werden in den Gesprächsveranstaltungen mit dem Künstler in der Sammlung gezeigt.
Der Siebdruck zählt zur jüngsten und zugleich populärsten Form unter den Drucktechniken. Er geht auf den Schablonendruck zurück, der sich im 19. Jahrhundert zuerst als serielle Form des Kolorierens, bald auch als eigenständige künstlerische Form etablierte. In Kombination mit einem Trägersieb setzte sich die Technik als plakatives Reproduktionsverfahren durch. Die Variationsmöglichkeiten sind vielseitig: Cornelius Brändle praktiziert sowohl den fotomechanischen Siebdruck als auch den Schablonendruck mit geschnittenen Formen. Mit diesem kann er überall spontan in Aktion treten. Mit den aufwändigen, mehrfarbig geschichteten Siebdrucken erzeugt er für die Technik untypische Bildräume.
In seinem Verlag edition wasser im turm.berlin bringt er experimentell serigrafierte, eigenhändig gefertigte Künstlerbücher in Kooperation mit befreundeten Kolleginnen und Kollegen heraus. Seine eigenen Arbeiten publiziert er unter seinem Künstlernamen corn.elius.
Um die Raffinessen des Siebdrucks zuverdeutlichen haben wir corn.elius beim fotomechanischen Siebdrucken in seinem Atelier und beim Schablonensiebdruck in der Hegenbarth Sammlung Berlin mit der Kamera begleitet.
Nach längerer Pause findet am Sonntag, den 7. Mai 2023 von 14—16 Uhr wieder ein Familiensonntag statt. Zu Beginn und am Ende der Sommerferien bieten wir Ferienworkshops an, in denen die Teilnehmenden gemeinsam mit dem Künstler corn.elius die Technik des Siebdrucks ausprobieren.
Nähere Informationen finden Sie unter Kunstvermittlung.