Die Entfaltung des Quadrats
Einführung von Dr. Simone Schimpf,
Direktorin, Museum für Konkrete Kunst, Ingolstadt
Vor genau hundert Jahren malte der russische Künstler Kasimir Malewitsch das „Schwarze Quadrat auf weißem Grund“ (1915) und erschuf damit eine Inkunabel der modernen Kunst. Seither beginnt die Erzählung der konkret-konstruktiven Kunst mit diesem Werk und es gibt kaum eine vergleichbare Arbeit, mit der sich so viele Künstlergenerationen immer wieder auseinander gesetzt haben. Es ist das Referenzwerk schlechthin.
Wolfram Erber, Jahrgang 1939, referiert nicht direkt auf Malewitsch, aber trotzdem wäre seine Kunst nicht ohne den Russen denkbar. Seine Pastellbilder sind geometrisch konstruiert. Ein autonomes schwarzes Quadrat taucht darin nicht auf. Es gibt dort jedoch vielerlei Spielarten davon, zu Rechteck und Trapez perspektivisch verzerrt, in anderen Farben, dynamisch vernetzt mit feinen Lineaturen und geometrischen Flächen, und damit sind wir mitten in der Kunst von Wolfram Erber.
Malewitsch setzte ein schwarzes Quadrat auf eine weiße quadratische Fläche, bzw. umrahmte es mit einem weißen Band — flächig ohne illusionistischen Raum und doch stellt sich die Frage nach dem Raumverhältnis. Es geht um die Beziehung von Vorder- und Hintergrund. Für ihn war die Gegenstandslosigkeit, das Nichts, wie er es sich in den Weiten des Kosmos vorstellte, spiritueller Ausgangspunkt seiner Kunst. Bei Erber treten nun schwarze Formen wie Dreiecke oder Trapeze aus einem grauen Umfeld oftmals mit einem Farbverlauf heraus. Der Raum spielt bei jedem seiner Zeichnungen eine wichtige Rolle. So eröffnen seine perspektivisch verzogenen Grundformen in schwarz eine räumliche Tiefe. Diese hinterfragt er, indem er mit Linien — manchmal in weiß, manchmal in gelb oder rot — eingreift. Diese Linien können von einer Kante der schwarzen Figur oder von einem Eckpunkt ausgehen und eine neue geometrische Grundfigur entstehen lassen. Manchmal zieht der Künstler die Linien über die Grundform hinaus. Was dabei entsteht, ist ein höchst irritierender Raumeindruck. Vorder- und Hintergrund durchdringen sich. Die Ebenen sind nicht mehr klar zu unterscheiden. Fläche, Linie, Körper werden innerhalb eines unspezifischen Raums in immer neue Konstellationen gebracht und widersprechen in ihren Durchdringungen unseren realen Raumerfahrungen.
Erber dekliniert immer wieder einfachste Kompositionselemente durch und zeigt auf, was die Veränderung einer Linie bedeuten kann. Erber geht dabei sehr systematisch vor und spielt verschiedene Varianten mit wenigen Komponenten durch. Was seine Pastellzeichnungen so besonders macht, ist die lebendige Oberfläche. Die grauen und weißen Flächen haben Verläufe und wirken dadurch transparent. Die schwarzen Flächen sind hingegen tiefschwarz und opak. Diese unterschiedlichen Höhungen sind für Erbers Werk ganz entscheidend. Er bewahrt immer eine charakteristische Handschriftlichkeit und unterscheidet sich dadurch wesentlich von automatisierten Renderings einer Software. Erbers Kunst scheint eine aktuelle Antwort auf Malewitschs Suche nach der Empfindung von Gegenstandslosigkeit zu sein.
Dr. Simone Schimpf, Direktorin, Museum für Konkrete Kunst, Ingolstadt
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